16.02.2012rss_feed

6. Rinder-Workshop in Uelzen

Neue Herausforderungen für die Rinderzucht

Die Tierproduktion stellt mit über 60% den wirtschaftlich bedeutsamsten Anteil in der landwirtschaftlichen Wertschöpfung dar. Die FAO sagt weltweit ein Bevölkerungs-wachstum auf nahezu 9 Mrd. Menschen voraus. Bei gleichbleibender oder sinkender landwirtschaftlicher Nutzfläche muss die Produktionsmenge landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Ressourceneffizienz der landwirtschaftlichen Produktion massiv erhöht werden.

In der Tierzüchtung steht durch die Nutzung der genomischen Selektion und die Verfügbarkeit von Hochdurchsatz-Typisierungstechnologien eine technische Revolution bevor. Diese neuen Züchtungstechniken sind in der Milchrinderzucht etabliert und werden in der Praxis angewendet. Züchtung ist die effizienteste und nachhaltigste Strategie der Leistungs- und Effizienzsteigerung und eine zentrale Herausforderung zur Lösung der globalen Ernährungssituation. Zuchtfortschritt trägt gut zur Hälfte zur Leistungsentwicklung bei.

Daneben gilt es, die Herausforderungen einer nachhaltigen Intensivierung unter den Bedingungen des Klimawandels anzunehmen. Innovative Selektionsstrategien auf eine effektivere Futterkonvertierung und die Reduzierung der Methanbildung stehen in den Anfängen. Beim Milchrind wird künftig nicht die Zucht auf hohe Einzel-leistungen, sondern eine sogenannte balancierte Selektion das Ziel, nämlich eine stabile, gesunde Hochleistungskuh. Das erfordert zusätzlich ein systematisches Gesundheitsmonitoring mit vielen Beteiligten, einschließlich der praktischen Veterinärmedizin.

Vor diesem Hintergrund stand die Diskussion zwischen Wissenschaft und Praxis in diesem Jahr wieder im Mittelpunkt des 6. Rinderworkshops, der vom 14. bis 15. Februar 2012 in der Stadthalle in Uelzen unter der Federführung von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Ernst Kalm der Christian-Albrechts-Universität Kiel, der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde e.V. und der Uelzener Allgemeinen Versicherung veranstaltet wurde.

Diese Möglichkeit wurde von gut 120 Teilnehmern aus Wissenschaft, Ministerien, Zucht- und Besamungsorganisationen, Beratung sowie der Praxis ausgiebig genutzt. In 22 Vorträgen zur Ökonomie und Wertschöpfung, Züchtungsfragen, Sicherung der Gesundheit, DNA-basierter Züchtung sowie Nachhaltigkeit wurden wesentliche, die Milchviehhaltung betreffenden Themenbereiche umfassend bearbeitet. Prof. Kalm trug in seiner Zusammenfassung u.a. folgende Aspekte zusammen:

Im ersten Themenblock wurde über die Ökonomie und Wertschöpfung diskutiert. Die Trends bei Milch und Milchprodukten sind, dass ein reines Volumenwachstum schwieriger wird. Die demographischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Ansprüche verdeutlichen die Akzeptanz von z.T. höheren Durchschnittspreisen. Die Ansätze zur Verbesserung der Wertschöpfung gehen einher mit der Bündelung in der deutschen Molkereiwirtschaft, Erschließung neuer Wachstumsmärkte und Entwicklung neuer Produkte für die künftige Abnehmergeneration (ToGo-Produkte) Bei den neuen Produkten könnte die Rinderzucht einen Beitrag leisten, wenn es um spezielle Inhaltsstoffe der Milch geht. Die Produktionsstufe der Milcherzeugung wird die Herausforderungen der Leistungs- und Effizienzsteigerungen annehmen, dies zeigen aktuell die Ergebnisse aus der Spezialberatung. Reserven zeigen sich wohl be Kosten für Futter und der Arbeitserledigung. Diese hocheffizienten Betriebe sind auf ein entsprechendes Risikomanagement angewiesen und planen und entwickeln entsprechende Strategien.

Für den Produktionsbetrieb sind die individuellen Produktionskosten das ent-scheidende Kriterium seiner künftigen Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität. Tier-gesundheit und Nutzungsdauer sind Problembereiche die einerseits von der Züchtung andererseits vom Betriebs- und Herdenmanagement zu verbessern sind. Züchtung, Beratung und die Betriebsleiter von den Produktionsbetrieben müssen hier intensiver die vorhandenen Möglichkeiten ausschöpfen, gerade bei der Um-strukturierung der Veredlungsbetriebe.

Im zweiten Block standen aktuelle Züchtungsfragen im Mittelpunkt. Die Zucht auf Hornlosigkeit ist ein hochaktuelles Thema und die Zuchtorganisationen widmen dieser Zuchtrichtung zunehmend Beachtung. In dem Spannungsfeld zwischen einem konkurrierenden Spermamarkt für Spitzengenetik und den zunehmenden An-sprüchen in unserer Gesellschaft, wird hier ein vernünftiger Mittelweg realisiert. Die ersten Ergebnisse zum Fett:Eiweiß-Verhältnis der Milch zeigen, dass dies ein kostengünstiger und flächendeckender Parameter zur Beschreibung der energe-tischen Situation in der Frühlaktation sein kann. Das Fett:Eiweiss-Verhältnis ist ein potentielles Hilfsmerkmal für die züchterische Reduktion der Krankheitsanfälligkeit. Metaboliten sind Zwischenprodukte bei enzymatischen Umsetzungen und sind Bestandteile des Stoffwechsels der Milchkuh. Erste Untersuchungen zeigen Möglich-keiten auf wie diese Metaboliten für die züchterischen Entscheidungen einbezogen werden können.

Verhaltensparameter wie z.B. Temperament sind für die Fleisch- und Milchrinder-zucht wichtige Parameter, erste Ergebnisse dazu wurden vorgestellt. Betriebe mit automatischen Melksystemen sind dankbar für derartige neue Informationen. Anregungen zur Auswertung heute üblicher Herdenmanagementdaten der Melkmaschinenindustrie wurden diskutiert und sind mögliche Themen für Master-arbeiten von Studierenden.

Phänotypen für Gesundheit wurde im dritten Block behandelt. Die Verbesserung der Tiergesundheit ist sowohl Landwirten als auch der allgemeinen Bevölkerung ein großes Anliegen. In dem praxisorientierten Projekt Pro Gesund werden die Informationen der Tierärzte und Tierhalter in einer Datenbank zusammengeführt. Das neue ist u.a. die Erfassung und Speicherung der Diagnosen auf elektronischem Weg durch den Hoftierarzt. Dadurch werden neue Wege im Bereich Tiergesundheit und Herdenmanagement beschritten und bieten die Chance die Fitness der Milchkühe durch Managementmaßnahmen nachhaltig zu verbessern. Ein ähnlicher Ansatz wird mit den Innovationsprojekten Gesunde Kuh (GKuh) und BHNP verfolgt. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass die Erfassung und züchterische Bewertung von Krankheitsdiagnosen eine geeignete Grundlage für genetische Auswertungen darstellen und vielleicht für Zuchtentscheidungen aufbereitet werden können.

Klauen- und Gliedmaßenerkrankungen sind in den Milchviehbetrieben häufig die Ursachen von Lahmheiten und können zur Verringerung der Nutzungsdauer sowie Verminderung der Milchleistung und Fruchtbarkeit führen. Eine systematische Datenerfassung durch Klauenpflegerteams und Einbeziehung von Körpergewicht, Body Condition Score und weiteren Parametern ermöglichen die Körperkondition und die Klauengesundheit zu verbessern. Testherden oder flächendeckende Erfassung ist die Frage bei Merkmalen wie Funktionalität und Gesundheit, eine flächendeckende Erfassung scheint schwierig zu sein. Tierzucht und Veterinär-medizin sollten ein gemeinsames praktikables Konzept vorantreiben.

Im 4. Block stand die DNA-basierte Züchtung im Mittelpunkt und das komplexe Thema der genomischen Selektion wurde aufgearbeitet. Das Herzstück der genomischen Selektion ist die genomische Zuchtwertschätzung (GW-ZWS), Die theoretischen Berechnungen zeigen, dass die Genauigkeiten dieser Zuchtwert-schätzung selbst von Tieren ohne Eigen- und Nachkommenleistung hoch sind. Danach könnte sich die Struktur der Milchrinderzuchtprogramme deutlich verändern. Dies führt zu einer drastischen Verkürzung des Generationsintervalls auf der männlichen Seite. Die Verwendung von 6K-SNP-Chips für ca. 30 € und etwas geringeren Genauigkeiten ermöglicht die Genotypisierung von Kühen für die innerbetriebliche Selektion; verbunden mit gesextem Sperma kann dann die Selektionsintensität von Kühen deutlich erhöht und die Aufzuchtkosten gesenkt werden. Theoretischen Überlegungen zeigen, dass dann auch Informationen für die Nutzung von nicht-additiven Effekten wie z.B. Dominanz genutzt werden können. Die Einbeziehung der genomischen Verwandtschaftsmatrix bietet die Möglichkeit der Inzuchtminimierung. Durch die Typisierung der männlichen und weiblichen Seite wird es zukünftig neue Lernstichproben geben und eine neue Generation von Schätzverfahren wird sich etablieren, d.h. die Rechenzentren stehen vor einer großen Herausforderung. Bis vor wenigen Jahren war die Sequenzierung ganzer Genome auf die Erstellung der Referenzsequenz einer Art beschränkt. Die Fortschritte der Sequenziertechnologie sind jedoch so rasant, so dass sich die Kosten in nächster Zeit auf 1.000 € pro Tier sinken. Die kleinen Rassen könnten dann mit in die genomische Selektion einbezogen werden. Die genomische Vorhersage, wie sie im Moment eingesetzt wird, steht nach den neusten Untersuchungen erst am Anfang. Durch die Einbeziehung der Sequenz ausgewählter Schlüsseltiere und durch die flächendeckende Einbeziehung der weiblichen Tiere wird ein noch größeres Potential erschlossen. Zuchtorganisationen sind gefordert, hier nachhaltige Strategien gemeinsam mit der Wissenschaft zu entwickeln.

Der letzte Block behandelt das aktuelle Thema der Nachhaltigkeit. Der Schwerpunkt der Themen befasste sich mit den Treibhausgasemissionen, die sich einerseits durch Leistungssteigerungen und andererseits durch neue Züchtungsansätze minimieren lassen. Aus dem Bereich der Tierernährung stehen neue Fütterungs-strategien in der Diskussion, gleichzeitig wird auf internationaler Ebene der gesamte Komplex des Fütterungsmanagement intensiv beforscht. Die aufgezeigten Ergeb-nisse zu der gesamten Thematik zeigen das zu diesem komplexen Thema die Wissenschaft und Praxis nach neuen Lösungen suchen.

Der Workshop 2012 lieferte wertvolle Anregungen und Erkenntnisse und zeigte Perspektiven für die Rinderzucht und –haltung, wie die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich bewältigt werden können. Der Workshop lebte von der offenen Diskussion zwischen Wissenschaft und Praxis.

Der Tagungsband (Heft 60 der Schriftenreihe) kann bei der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde e.V. (DGfZ), Adenauerallee 174, 53113 Bonn, Fax 0228-9144766 ; email: info@dgfz-bonn.de für 10 € angefordert werden.

Quelle: E. Kalm