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Brennpunkt Ferkelkastration – Diskussionsveranstaltung auf Haus Düsse

Die Landwirtschaftskammer NRW hatte am 31. Oktober 2018 zu einer Diskussionsveranstaltung Brennpunkt Ferkelkastration auf Haus Düsse eingeladen. Die DGfZ war vor Ort und ist schon seit 10 Jahren im Rahmen der Koordinierungsplattform Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration mit der Thematik vertraut. Sie hat mit verschiedenen Veranstaltungen, Themenheften der Züchtungskunde sowie aktuellen Ausgaben der Schriftenreihe den Entwicklungsprozess begleitet, sachlich fundiert informiert und konstruktiv zur aktuellen Diskussion beigetragen.

Glaubte man zwischenzeitlich, allen Sauenhaltern und Schweinemästern praktikable Lösungen anbieten zu können, ist durch die zahlreichen nationalen und internationalen Forschungsprojekte deutlich geworden, dass es den goldenen Weg nicht gibt. Jede Lösung hat ihre Vor- und Nachteile und jeder Teilnehmer der Wertschöpfungskette bewertet die jeweiligen Methoden unterschiedlich. Besonders Fahrt hat die allgemeine Diskussion vor einigen Monaten aufgenommen, als die Lokalanästhesie als weitere Möglichkeit ins Auge gefasst wurde. Die Politik hatte sich zudem über eine Verlängerung der Übergangsfrist zum Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration um zwei Jahre bis Ende 2020 beraten.


Vor diesem Hintergrund hatte die Veranstaltung auf Haus Düsse unerwartete Brisanz erfahren. Umso gespannter wurden die Forschungsergebnisse von Frau Dr. Susanne Zöls von der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Wirksamkeit der Lokalanästhesie erwartet, die hier erstmals vor 230 Teilnehmern vorgestellt wurden. Anschließend wurden aus verschiedenen Positionen Statements abgegeben: aus der Sicht der landwirtschaftlichen Erzeuger von Herrn Dr. Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, aus der Sicht der Schlachtbetriebe von Herrn Dr. Jaeger von Tönnies, aus der Sicht des Einzelhandels von Herrn Pfeuffer von der REWE und aus Sicht der Politik von Frau Dr. Kluge vom Bundesministerium (BMEL).

Der Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachen Karl Werring ging in seiner Eröffnungsrede auf die Absicht der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD ein, die Übergangsfrist für das betäubungslose Kastrieren männlicher Ferkel im Alter von unter acht Tagen zu verlängern. Er begrüßte dieses Vorhaben sehr und hoffte, dass der Verlängerung vom Bundestag zugestimmt wird (Anmerk. Red.: In einem ersten Schritt haben sich CDU/CSU und SPD auf einen Gesetzesentwurf zur Verlängerung der Übergangsfrist Anfang November geeinigt). Diese Zeit könne genutzt werden, um weitere finale Forschungsvorhaben durchzuführen und Genehmigungen für Arzneimittel voranzutreiben. In diesem Zusammenhang wies Werring besonders auf die bereits geleistete Arbeit von Wissenschaftlern, Landwirten, Schlachthöfen und anderen Beteiligten hin, die durch ihre Versuchsergebnisse zu den Alternativmethoden den Kenntnisstand enorm erweitert und zur Diskussion beigetragen haben. Der Bund habe mit seinen Fördergeldern wesentlich diese Versuche ermöglicht und unterstützt.

In ihrem Vortrag stellte Frau Dr. Zöls ihre Ergebnisse zur Wirksamkeit der Lokalanästhesie vor. Die LMU hatte die Versuche, die vom Land NRW und von der QS GmbH finanziell gefördert wurden, gemeinsam mit dem Schweinegesundheitsdienst und der Landwirtschaftskammer NRW in den Ställen von Haus Düsse durchgeführt. Dazu wurden 232 Ferkeln in verschiedenen Ferkelgruppen einer unterschiedlichen Behandlung unterzogen. Als Lokalanästhetika kamen Lidocain und Procain zum Einsatz, die mit einem Sperrkörper versehen waren. Als Verfahren wurde die Leitungsanästhesie angewendet. Darunter versteht man die gezielte Ausschaltung bestimmter Nerven bzw. Nervenäste durch Umspritzung mit Lokalanästhetika. Dazu wurden die Ferkel mit je zwei Injektionen intratestikulär (in den Hoden) und inguinal (in die Leistengegend) lokal betäubt. Folgende Versuchsgruppen wurden erstellt:

Kontrolle: Ferkelgruppe wurde nur hochgenommen, nicht narkotisiert und nicht kastriert

Vergleichsgruppe: Ferkelgruppe wurde betäubungslos kastriert

Gruppe 1: Betäubung durch Lidocain

Gruppe 2: Betäubung durch Procain

 

Es wurden anhand verschiedener Parameter versucht, das Schmerzempfinden der Ferkel während und nach der Kastration einzuschätzen. Dazu wurde das Abwehrverhalten während der Injektion und während der Kastration gefilmt sowie Blutproben zur Untersuchung von Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin 0, 30, 60 Minuten und 3 Stunden nach Kastration entnommen. Zusätzlich wurden die Bewegungsabläufe anhand eines Hürdenlaufs untersucht. Da es keine direkten Schmerzparameter gibt, kann man mit den o.g. Parametern lediglich den Streß messen.

Die Versuche haben zu folgenden Ergebnissen geführt:

  • Die Samenstrangdurchtrennung ist der schmerzhafteste Akt der Kastration. Das zeigten die Abwehrbewegungen.
  • Die Wundheilung wurde durch die Lokalanästhesie nicht beeinflusst.
  • Das Abwehrverhalten aller mit der Lokalanästhesie behandelten Ferkel war gering.
  • Bemerkenswert: Die intratestikulären Injektionen reduzierten nochmals die Abwehrbewegungen im Vergleich zur inguinalen Injektion.
  • Die Adrenalinwerte zeigten direkt nach der Kastration in der Lidocain-Gruppe keine Basalwerte (Kontrollgruppe) an. Allerdings waren sie im Vergleich zu denen der betäubungslos Kastrierten signifikant geringer. Nach vier Minuten waren die Werte beider Gruppen etwa gleich hoch. Die Procain-Gruppe zeigte die höchsten Werte. Diese waren sogar noch nach vier Minuten höher als bei den betäubungslos Kastrierten. Hier gab es keine Übereinstimmung zu den Verhaltenswerten.
  • Die Cortisolwerte waren in der Lidocain-Gruppe nach 30 Minuten geringer als bei den betäubungslos Kastrierten, stiegen aber noch bis zur 60. Minute auf den Wert der betäubungslos Kastrierten weiter an.
    Bemerkenswert: Die Procain-Gruppe wies bei allen Messpunkten signifikant die höchsten Cortisol-Werte auf.
  • Der Hürdenlauf nach der Kastration bestätigte, dass Lidocain schmerzmindernd wirkt. Procain konnte die Belastung der Kastration bei den Ferkeln nicht reduzieren.

Fazit der Untersuchung:

  • Es gibt grundsätzlich keine verlässlichen Schmerzparameter, die man im Blut messen kann.
  • In der angewandten Form und in der angewandten Dosierung war Lidocain effektiver und streßfreier als Procain und führte damit zu einer geringeren Belastung des Ferkels.
  • Die Schmerzreduktion in der Lidocain-Gruppe war während der Kastration messbar, in der Procain-Gruppe dagegen nicht.
  • In dem vorgestellten Versuch führte keine Methode zur vollständigen Schmerzausschaltung gemäß Tierschutzgesetz.

Frau Dr. Zöls wies abschließend noch einmal darauf hin, dass Procain nicht eins zu eins gegen Lidocain verglichen, sondern Betäubungsmethoden getestet wurden.

Bei der abschließenden Bewertung betonte Frau Dr. Zöls zudem, dass hier komplette Betäubungsmethoden verglichen wurden. Man habe weder Procain gegen Lidocain getestet, noch die Betäubung der Nervenbahnen mit einer direkten Betäubung der Hoden verglichen. Insgesamt habe die Untersuchung gezeigt, dass noch großer Forschungsbedarf bestehe. Deshalb seien bereits weitere vom Bundeslandwirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Untersuchungen in Vorbereitung. Und die seien so angelegt, dass die Ergebnisse später von einem Pharmaunternehmen für das Zulassungsverfahren eines Lokalanästhetikums genutzt werden könnten.

Die Ergebnisse hinterließen beim Auditorium Enttäuschung. Frau Dr. Zöls wies aber noch auf laufende Untersuchungen hin und schlussfolgerte, dass man zum jetzigen Zeitpunkt keine abschließende Beurteilung über die Anwendbarkeit von Lidocain treffen könne.

Herr Dr. Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen schlug in seinem Vortrag für die 10.000 betroffenen Sauenbetriebe in Deutschland die schwedische Lösung, nämlich die Lokalanästhesie, als besten gangbaren Weg vor. Die Erzeugerorganisationen würden sich ebenfalls für diesen Weg aussprechen. Alle anderen Methoden seien derzeit nicht zufriedenstellend praktikabel. So sei z.B. Eberfleisch nicht unendlich auf dem Markt absetzbar. Für den Einsatz der Immunokastration sieht Hortmann-Scholten mögliche Akzeptanzprobleme in der Kundschaft. Die Injektionsnarkosen und die Betäubung mit CO2 scheiden aus Tierschutzgründen aus. Isofloran stelle allerdings eine gute Brückenlösung dar.

Herr Dr. Jaeger von Tönnies mahnte, das emotional diskutierte Thema weiterhin vorurteilsfrei zu besprechen, da er die Meinung vertrat, dass es auch in Zukunft keinen 100%ig richtigen Weg geben wird. Er berichtete von einem Treffen im Düsseldorfer Ministerium vor drei Wochen, in dem konstruktiv anstehende dringende Aufgaben der Branche besprochen wurden:
1. Überprüfung der gesetzlichen Regelungen. Was bedeutet Schmerzausschaltung?
2. Die erforschten Methoden zur betäubungslosen Ferkelkastration müssen praxistauglich sein.
3. Entwicklung eines Sachkundenachweises für Landwirte
4. Aufgabenverteilung: Wer macht was?

Herr Pfeuffer von der REWE betonte in seinem Statement, dass sein Unternehmen jede Methode akzeptiere und seit zwei Jahren sogar immunokastrierte Schweine aus biologischer Haltung anbietet. Eine dritte Impfung sei allerdings empfehlenswert, so Pfeuffer. Leider sei die Position des LEH in Hinblick auf die Akzeptanz verschiedener Verfahren zur betäubungslosen Ferkelkastration derzeit nicht einheitlich.

Frau Dr. Kluge ging ebenfalls auf die verschiedenen Methoden ein. Für die Ebermast und die Immunokastration sei durchaus Akzeptanz beim Handel und beim Verbraucher gegeben. Isofluran werde voraussichtlich noch 2018 zugelassen. Für die spätere Anwendung seien Schulungen für die Landwirte erforderlich. Bezüglich des sog. 4. Wegs informierte Frau Dr. Kluge, dass bis jetzt bei der europäischen Arzneimittelagentur in Brüssel für Lidocain noch keine Rückstandsbewertung bei Schweinen vorliege und deshalb die Zulassung des Betäubungspräparates für diese Tierart noch ausstehe. Berücksichtigt werden müsse, dass ein derartiges Verfahren üblicherweise mehrere Jahre andauert.
Der Zustimmung des Gesetzesentwurfes zur Verlängerung der Übergangsfrist sieht Frau Dr. Kluge positiv entgegen.

In der engagierten Diskussion wurden die aktuellen Forschungsergebnisse von Frau Dr. Zöls sowie die anstehende Fristverlängerung durch den Bundestag besprochen. In dem Zusammenhang wies in einem Wortbeitrag Herr Dr. Randt vom Bayerischen Tiergesundheitsdienst darauf hin, dass es grundsätzlich keine verlässlichen im Blut messbaren Schmerzparameter gibt. Allerdings gäbe es klinische Parameter, die messbar sind und darstellen können, ob ein Tier Schmerzen empfindet. Man sollte nicht versuchen, etwas nachweisen zu wollen, was nicht nachweisbar wäre. Wir haben zugelassene Lokalanästhetika, bei denen keine Blutuntersuchungen während des Zulassungsverfahrens nötig waren. Es ging immer darum zu beurteilen, ob der Schmerz noch im Rahmen einer klinischen Reaktion gezeigt wurde oder nicht, so Randt. Er wünsche sich eine wissenschaftliche Untermauerung bereits durchgeführter Untersuchungen mit Lidocain.

Quelle: DGfZ