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Bundesregierung: Koalitionsentwurf zum Umbau von Tierhaltungsanlagen beraten

Zwar ist das Vorhaben der Bundesregierung, mehr Tierwohl durch Stallumbau zu gewährleisten, von allen Experten begrüßt worden, jedoch stieß der vorliegende Gesetzentwurf mit dem Titel Erleichterung der baulichen Anpassung von Tierhaltungsanlagen an die Anforderungen des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes (20/6422) auf breite Kritik. Der Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen hatte am Montagvormittag insgesamt neun Sachverständige zu einer öffentlichen Anhörung geladen, um die im Tierhaltungskennzeichnungsgesetz neu eingeführten Haltungsformen bauplanungsrechtlich zu diskutieren.

 

Der Ende März gefundene Kompromiss der Regierungsparteien für das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz sieht eine baurechtliche Privilegierung für Unternehmen vor, die ihre Stallanlagen umbauen wollen, um ihre vorhandene Tierhaltung auf eine höhere Stufe umzustellen. Gültig wären die Umbauten laut Gesetzentwurf für die im Tierhaltungskennzeichnungsgesetz genannten Haltungsstufen drei, vier und fünf - also den Frischluftstall, Auslauf/Weide oder Bio - sowie für Ställe, die nach 2013 gewerblich errichtet wurden und keine landwirtschaftliche Privilegierung mehr hatten. Tierhalter müssten ihre Bestände nicht verringern, wenn sie in höhere Tierhaltungsstufen wechseln möchten.

Nicht nur von Seiten der Tier- und Umweltverbände kamen erneut Änderungsvorschläge. Helmar Hentschke, Rechtsanwälte Hentschke & Partner, forderte, dass der Anwendungsbereich ausgeweitet werden müsse: Neben Bestandbauten sollten auch Anlagen einbezogen werden, die noch nicht errichtet worden seien, für die es aber bereits Genehmigungen gebe. Zudem ist es sinnvoll, den Ersatzneubau in den Gesetzentwurf aufzunehmen, sagte Hentschke. Kritisch zu bewerten bei einer höheren Auslaufhaltung sei, dass es zu höheren Immissionen komme. Darüber hinaus stuften die Gerichte selbst die Verbesserung der Immissionssituation bei den gesetzlich geschützten Biotopen in Bezug auf eine Belastung zum Teil als nicht genehmigungsfähig ein.

Auch Martin Kamp, Referent und Leiter Sachgebiet Immissionsschutz bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, ging auf mögliche Belastungen im Außenbereich ein, die durch die Tierhaltungsformen Frischluftstall, Auslauf/Weide und Bio entstehen könnten. Der Begriff ,Belastung' im Gesetzentwurf ist so unkonkret, dass er zu einer Verunsicherung der Genehmigungsbehörde führen dürfte, sagte Kamp. Denn die Zulässigkeit von Belastungen, seien es naturschutzfachliche wie etwa Bodenversiegelung oder immissionsschutzfachliche wie Gerüche, seien durch die entsprechenden Fachgesetze abgedeckt. Wenn es jedoch um den Vergleich zur Alternative Umbau statt eines Neubaus gehe, sei nicht ersichtlich, warum ein höherer Anspruch an ein Vorhaben aus Anlass für mehr Tierwohl gestellt werden solle, als fachgesetzlich erforderlich.

Bernd Düsterdiek, Beigeordneter beim Dezernat Umwelt und Städtebau des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, sieht in dem vorliegenden Entwurf noch offene Fragestellungen, einerseits mit Blick auf eine notwendige Beibehaltung der kommunalen Steuerungsfähigkeit und andererseits hinsichtlich des Ziels, eine weitere Bodenversiegelung möglichst zu vermeiden. Auch Düsterdiek machte auf immissionsschutzrechtliche Probleme aufmerksam, die durch eine bauliche Anpassung zu offenen Ställen hervorgerufen werden könnten. Insofern muss diese Thematik bei der weiteren Umsetzung im Blick behalten werden, so Düsterdiek.

Auf die Planungshoheit der Kommunen verwies Markus Altenhöner, Verwaltungsleiter, Kreisdirektor und Kämmerer im Kreis Herford. Mit dem Gesetz würden Umbauten befördert, das werde nicht nur zu mehr Tierschutz führen, sondern auch die Tierbestände reduzieren.

Nadine Schartz, zuständig für Umwelt und Klimaschutz, Bauen und Wohnen, Abfallwirtschaft, Land- und Forstwirtschaft beim Deutschen Landkreistag, sowie Vertreterin für den Deutschen Städtetag, sagte, baurechtliche Änderungen sollten erleichtert werden, um mehr Tierwohl zu erzeugen. Das entspricht dem gesellschaftlichen Wunsch zu einer besseren Tierhaltungsbedingungen, betonte Schartz. Da nach dem geltenden Baurecht Umbauten und Erweiterungen von Ställen nicht ohne weiteres möglich sind, sollten die Rahmenbedingungen nun erleichtert und angepasst werden. Da bei älteren Ställen ein Umbau nicht immer möglich oder wirtschaftlich sei, sollten auch Ersatzbauten in den Entwurf aufgenommen werden. Jedoch müssten im Hinblick auf den Immissionsschutz gegebenenfalls Änderungen oder Zusatzregelungen der TA-Luft vorgenommen werden.

Jens van Bebber, Schweinehalter aus Niedersachen, und Jochen Dettmer, Vorstandssprecher von Neuland und Landwirt aus Sachsen-Anhalt, forderten ein Gesamtkonzept zum Umbau der Tierhaltung. Das vorgelegte Tierhaltungskennzeichnungsgesetz und die nun angedachten baurechtlichen Anpassungen gingen nicht weit genug. Van Bebber warnte vor starren Definitionen von Stallvarianten ohne Einbeziehung von Entwicklungsmöglichkeiten. Die nun geplante Veränderung des Baugesetzes ziele auf die Umsetzung der Tierhaltungskennzeichnung ab. Bauvorhaben würden dann ermöglicht, wenn Ställe den Anforderungen der Kategorien Frischluft, Auslauf/Weide oder Bio gerecht würden. Die Frage ist nur, ob die Tierhaltungskennzeichnung eine geeignete Definition eines artgerechten Stalles bietet, so van Bebber. Der heutige konventionelle Maststall sei das Resultat einer über 50-jährigen fortwährenden Entwicklung. Die heutigen Stallkonzepte einer alternativen Haltung hingegen bestünden in nur einem sehr geringen Umfang und seien bislang noch nicht Gegenstand einer breit angelegten intensiven Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Diese sei aber notwendig, um eine praxistaugliche Umstellung der Tierhaltung zu erreichen.

Jochen Dettmer bemängelte, dass die Bundesregierung bislang lediglich eine Milliarde Euro für den Umbau der Tierhaltung vorsehe. Dabei habe die Borchert-Kommission bereits vor Jahren vorgerechnet, dass der Umbau jährlich bis zu fünf Milliarden Euro kosten könnte. Zudem zeigt die Entwurfsfassung des Bundesprogrammes Umbau der Tierhaltung noch erhebliche Defizite auf, die zu einer Minderung der Motivation zum Umbau der Tierhaltung bei den Bauern und Bäuerinnen führt, sagte Dettmer. Nach eigenen Berechnungen Dettmers dürfte das Potential von tierhaltenden Betrieben, die auf die Haltungsstufen drei, vier und fünf des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes umstellen wollten, bei rund 100 Betrieben liegen. Davon seien zehn Prozent als gewerbliche Betriebe einzuschätzen. Wir reden also von zirka zehn Betrieben, die in naher Zukunft von den Erleichterungen des hier vorliegenden Gesetzentwurfsprofitieren würden, so Dettmer.

Petra Nüssle, Leiterin des Referats Agrar- und Lebensmittelrecht und Verbraucherschutz beim Deutschen Bauernverband, sprach bei dem Gesetzentwurf von Sand im Getriebe. Weder sei eine tragfähige Perspektive für Tierhalter erkennbar, noch seien die Zielkonflikte zwischen Tierwohl und Immissionsschutz und Umweltrecht ausgeräumt. Vor diesem Hintergrund würden die Landwirte eher verunsichert, als dazu ermuntert, Stallumbauten in Angriff zu nehmen. Nüssle verwies auf die steigenden Importzahlen von Schweinefleisch, das vor allem aus Spanien komme. In etlichen EU-Ländern seien die Standards zur Fleischproduktion sehr viel geringer als hierzulande, deshalb solle die Haltungsstufe Stall und Platz in den Entwurf aufgenommen werden.

Einen solchen Ansatz lehnt Anne Hamester, Stellvertretende Leiterin Facharbeit und Politik bei Provieh, entschieden ab. Mit dem aktuellen Gesetzentwurf werden Haltungsbedingungen gefördert, die das Leiden von Schweinen statt ihr Wohlergehen fördern, sagte Hamester. Die Ausgestaltung durch die Grundlage des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes und die Förderung der Haltungsform Frischluftstall müssten daher ausdrücklich abgelehnt werden. Die Haltungsstufe Frischluftstall beinhalte Ställe ohne Zugang nach draußen für alle Tiere, somit ohne frische Luft und Außenklimareize wie Regen, Sonne, Wind, ohne getrennte Funktionsbereiche zum Fressen, Koten, Spielen und Liegen, dafür aber mit gesundheitsschädlichen Vollspaltenböden. Diese Haltungsbedingungen führten zu haltungsbedingten Schäden und Leiden sowie zu der Verhaltensstörung des Schwanzbeißens. Solche Haltungsbedingungen würden mit dem aktuellen Gesetzentwurf für mindestens 20 Jahre zementiert werden. Dabei sei im Nachbarland Österreich ein solches Haltungssystem mit Vollspaltenböden als tierquälerisch verboten.

Die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw19-pa-bau-tierhaltung-944700

Quelle: Dt. Bundestag